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Eine VDI-Richtlinie zu Sanitärräumen überarbeiten, was kann daran schon spannend sein? Und welche gesellschaftliche Relevanz kann das Thema haben – abgesehen davon, dass jeder mal „muss“? Mehr als man zunächst ahnt. Wie kann man Toilettenräume gestalten, damit sie für alle Menschen nutzbar sind? Thomas Wollstein hat sich für die Neuauflage der Richtlinien-Reihe VDI 6000 rund um sanitäre Einrichtungen intensiv damit befasst. Im Interview erzählt er, warum das wichtig ist und wie dabei die erste technische Regel entstanden ist, die All-Gender-WCs beschreibt.
Herr Wollstein, Sie haben bei der Neufassung der Richtlinie VDI 6000, die sich mit der technischen Gebäudeausrüstung von sanitären Anlagen befasst, mitgeschrieben. Was hat die Überarbeitung notwendig gemacht?
Die sechs Blätter der letzten Ausgabe und die Richtlinie VDI 3818 (ersetzt durch VDI 6000 Blatt 7:2024-07), die sich mit öffentlichen Toiletten befasst, waren teils über zehn Jahre alt. Der Sanitärbereich ist zwar nicht von sich schnell entwickelnder Hochtechnologie geprägt, dennoch ändern sich in so einer langen Zeitspanne einige Dinge. Deshalb mussten wir da ran.
Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Neuerung in der Richtlinie?
Wenn Sie heute eine Stellenausschreibung lesen, haben Sie sich an den Zusatz „m/w/d“ gewöhnt, mit dem diskriminierungsfrei nicht nur die klassischen beiden Geschlechter männlich und weiblich adressiert werden sollen, sondern auch nicht-binäre Personen. Die weitaus meisten Unternehmen jedoch haben nach wie vor nur Toilettenräume für Männer und Frauen. Die müssen sie haben, weil die Arbeitsstättenverordnung das so vorschreibt. In einer modernen Arbeitswelt wird jedoch mehr Wert auf attraktive Arbeitsstätten gelegt. Das hat dazu geführt, dass – bislang vor allem progressive Arbeitgeber – neben den gesetzlich vorgeschriebenen binären Toilettenanlagen zusätzlich All-Gender-WCs anbieten. Für die Ausgestaltung solcher Anlagen gab es bislang keine Hilfestellung in Form einer allgemein anerkannten Regel der Technik. Da hilft die neue VDI 6000. Ich bin ziemlich stolz darauf, dass es die erste technische Regel auf dem Markt ist, die diesen Aspekt berücksichtigt.
Warum ist es so wichtig, Toiletten geschlechterunabhängig zu gestalten? Schließlich passiert doch alles hinter verschlossenen Türen.
Weil die herkömmliche binäre Aufteilung in Toiletten für Damen und Herren zu einem Zwangsouting der Menschen führt. Betroffene fühlen sich dann unwohl. In der Vergangenheit hat es in intoleranten Umfeldern dabei auch Pöbeleien und Angriffe gegeben.
Was sind die Ergebnisse? Wie sieht eine gut gemachte, für alle Menschen nutzbare Toilette aus?
Ein Universal-Design-WC – dieser Begriff ist noch weiter gefasst als der des All-Gender-WCs – soll jeder Mensch selbstbestimmt aufsuchen können. Es sollten möglichst viele Barrieren, ob sie nun durch Einschränkungen oder einfach durch Anderssein gegeben seien, ausgeräumt werden. Mit Blick auf die geschlechterunabhängige Nutzung kann man bspw. im eigentlichen Toilettenraum alle Keramiken, also die WC-Becken und Urinale, in Kabinen setzen. Jede Kabinentür zeigt eine Abbildung oder ein Piktogramm des Sanitärgegenstands, den die Benutzenden in der Kabine vorfinden. Die Kabinenwände muss man dann raumhoch ausführen, damit sich auch unter diesen Bedingungen das Gefühl einer hinreichenden Privatsphäre einstellt. Es hat auch Auswirkungen auf die weitere technische Ausstattung: Raumhohe Kabinen müssen individuell beleuchtet und belüftet werden.
Aber wirklich alle Menschen willkommen zu heißen, ist ein umfassendes Ziel. Dass Rollstuhltauglichkeit mit erhöhtem Platzbedarf und unterfahrbar gestalteten Waschbecken verbunden ist, sieht man leicht ein. Ebenso, dass mobilitätseingeschränkte Menschen Stützklappgriffe am WC brauchen. Dass wiederum Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen auf eine kontrastreiche Gestaltung und Tastmarkierungen angewiesen sind, ist für die meisten von uns nicht sofort klar. Wir haben mit VDI 6008 eine weitere ganze Richtlinienreihe, die sich mit Barrierefreiheit im umfassenden Sinn beschäftigt.
Dann ist da noch der Aspekt der Sicherheit für die Nutzenden. Bei einer barrierefreien Toilette ist der Notruf Standard. Insbesondere bei einzelnstehenden öffentlichen Toiletten sollte aber die Sicherheit der nutzenden Personen auch Eingang in die allgemeine Planung finden.
Das hört sich nach zusätzlichen Investitionen an. Haben Eigentümer*innen oder andere am Bau Beteiligte denn Vorteile, wenn sie die sanitären Anlagen wie beschrieben gestalten?
Im besten Fall sparen sie Fläche. Und Fläche ist ein beherrschender Kostenfaktor im Gebäudesektor. Fläche müssen Sie beheizen, Sie müssen sie reinigen. Wer Fläche im Überfluss hat, könnte neue sanitäre Anlagen auch nach dem Vorbild der heutigen behindertengerechten Toilette konzipieren. Gerade bei Räumen für große Veranstaltungen löst die Unisex-Toilette aber noch ein anderes Problem – das der Gleichzeitigkeit.
Was ist mit Gleichzeitigkeit gemeint?
Insbesondere Besucher von Konzerten und Fußballspielen kennen das: In der Pause suchen alle Anwesenden gleichzeitig die sanitären Anlagen auf. Aber hohe Gleichzeitigkeit tritt auch bei anderen Nutzungen auf, beispielsweise in Schulen und Seminarzentren. Je mehr Gleichzeitigkeit besteht, desto mehr Toiletten werden benötigt. Nicht-binäre WCs reduzieren die erforderliche Anzahl durch eine gleichmäßigere Nutzung. Der dadurch gegebene gleichmäßigere Wasseraustausch hat als schönen Nebennutzen Vorteile für die Trinkwasserhygiene. Und auch für die Sauberkeit der Anlagen: Bei einer gleichmäßig frequentierten Anlage entsteht eher ein Gefühl von sozialer Kontrolle – das motiviert die nutzenden Personen, sich bewusster zu verhalten.
Haben Sie die neuen Empfehlungen für Universal-Design-Toiletten in alle Blätter der neuen Richtlinie VDI 6000 aufgenommen?
Diversität betrifft alle Gebäude und Einrichtungen, die von vielen Menschen genutzt werden. Das reicht von Schulen, Universitäten, Arbeitsstätten, Versammlungsorten bis hin zu Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern. Ausgenommen haben wir das Blatt 2, das Wohnungen und Hotelzimmer beschreibt. Hier ist klar definiert, welche Person die sanitäre Anlage nutzt, ihre Privatsphäre ist ohnehin geschützt. In den Blättern 3 bis 6 hingegen spielen wir das Thema Diversität durch.
Jetzt haben wir aber das Blatt 1 vergessen...
Das Blatt 1 beschäftigt sich in der Neuauflage mit grundlegenden Festlegungen, die für alle oder mindestens mehrere Gebäudenutzungen gelten. Denn das ist die zweite wichtige Neuerung: Wir haben die Systematik der Richtlinie auf den Kopf gestellt.
Das hört sich kompliziert an.
Ganz im Gegenteil. Statt in allen Blättern wiederholt identische, generische Empfehlungen auszusprechen, haben wir Redundanzen eliminiert. In der technischen Regelsetzung gilt als Grundsatz, dass man möglichst nichts wiederholt oder abschreibt. Folglich haben wir Allgemeingültiges nur einmal – im Blatt 1 – geschrieben und in den Folgeblättern darauf verwiesen. Das Blatt 1 mit den Grundlagen benötigen folglich jetzt alle, die eines der Folgeblätter anwenden. Die Blätter 2 bis 6 haben dafür an Umfang verloren und jedes Blatt ist für sich besser lesbar. Die Handhabung ist so deutlich einfacher als in der letzten Version.
Thomas Wollstein ist Physiker und seit über 30 Jahren in der technischen Regelsetzung tätig, zunächst beim DIN, aktuell beim VDI. Er betreut VDI-Fach- und Richtlinienausschüsse im Bereich der Sanitärtechnik und Trinkwasserhygiene, darunter den Ausschuss VDI 6000, der sich mit Sanitärräumen befasst.
Interview: Tatjana Krieger, Redakteurin und Journalistin | Fotos: Adobe Stock
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