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Der Deutsche Ausschuss für Stahlbeton hat erstmals klare und verbindliche Regeln aufgestellt, wodurch sich klimaschädigende Treibhausgase bereits in der Planungsphase von Tragwerken aus Beton reduzieren lassen. Seine Ergebnisse und Empfehlungen liegen jetzt als neue Richtlinie vor.
„Treibhausgasreduzierte Tragwerke aus Beton, Stahlbeton oder Spannbeton“ lautet der Titel der Richtlinie, die der Deutsche Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb) erarbeitet hat und die ab sofort als Weißdruck erhältlich ist. Die Richtlinie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Baustoff Beton für bis zu acht Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich ist. „Mittlerweile lassen sich Hochbauten dank regenerativen Energien, klimafreundlichen Heizanlagen und Dämmsystemen vergleichsweise emissionsarm betreiben“, erklärt Christian Glock. Er ist Professor für Massivbau an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau und hat sich bei der Erarbeitung der Richtlinie die Obmannschaft des Technischen Ausschusses „Nachhaltig bauen mit Beton“ im DAfStb mit Michael Haist vom Institut für Baustoffe an der Leibnitz Universität Hannover geteilt. „Weiterhin zu hoch sind allerdings die so genannten grauen Emissionen. Sie entstehen während der Bauphase eines Projekts, teilweise sogar schon früher, und zwar bei der Herstellung der Baustoffe.“
Diese grauen Emissionen zu senken und Bauherr*innen, Planer*innen, Architekt*innen sowie technischen Büros dafür ein zuverlässiges Instrument zur ‚Messung‘ der Nachhaltigkeit an die Hand zu geben, das war das Ziel bei der Entwicklung der Richtlinie. „Die Richtlinie regelt erstmals, wie sich Klimaschutzmaßnahmen in der Tragwerksplanung seriös bilanzieren lassen,“ führt Glock aus. Dafür sei es notwendig gewesen, Berechnungsansätze und -größen zu vereinheitlichen und vergleichbar zu machen. „Man kann nur managen, was man auch messen kann!“, betont der Ingenieur.
Bei den Absenkungszielen hat sich der DAfStb am Klimaschutzgesetz der Bundesregierung orientiert: Ausgehend von einem Referenzwert, den Emissionen im Jahr 2020, beabsichtigt der Betonbau seinen CO₂-Ausstoß bis 2045 auf null zu senken. „Ziel ist eine kontinuierliche Abminderung, das heißt, es ist eine stufenweise Reduktion der Grauen Emissionen erforderlich, da hilft die neue Richtlinie.“ Hierzu führt die Richtlinie sog. Treibhausgas-Minderungsklassen ein, die durch die Baubeteiligten vereinbart werden können.
Der DAfStb verfolgt in seiner Richtlinie drei Ansätze. Ansatz eins betrachtet die baustoffliche Seite und hier insbesondere den Zementanteil und die gewählte Zementart: „Der derzeit mächtigste Weg Emissionen zu vermeiden ist, den Anteil von Portlandzementklinker im Beton zu reduzieren“, erklärt Michael Haist. Klinker setzt bei seiner Herstellung im Drehrohrofen Treibhausgase frei, die nicht nur aus den eingesetzten Brennstoffen, sondern vielmehr aus einem chemischen Prozess – der Entsäuerung von Kalkstein – stammen. „Es gibt hingegen inzwischen Zemente, die deutlich weniger CO₂ pro Tonne freisetzen. Kombiniert mit dem zweiten Ansatz – nämlich der Reduktion der Zementmenge im Beton – können damit Betone hergestellt werden, die bis zu ca. 60 % weniger CO2-Emissionen pro Kubikmeter emittieren“. Wichtig ist jedoch, so Haist, „dass die Gewährleistung der technischen Eigenschaften des Betons dabei nicht aus dem Auge verloren wird. Nachhaltig sind solche Ansätze nämlich nur dann, wenn die Lebensdauer der Bauwerke nicht negativ durch solche Maßnahmen beeinträchtigt wird. Genau dies wird durch die Richtlinie sichergestellt.“
Der dritte Ansatz führt über die Menge des verwendeten Betons bzw. des im Beton eingebetteten Bewehrungsstahls und somit ins Fachgebiet von Christian Glock. „Künftig wird es vermehrt darum gehen müssen, das Baumaterial so effizient wie möglich einzusetzen, statt verschwenderisch damit umzugehen“, sagt der Spezialist für Massivbau. Insbesondere die horizontalen Bauteile von Hoch- und Tiefbauten bieten ein großes Optimierungspotenzial: „Heute werden oftmals Flachdecken gebaut, die überall die gleiche Dicke haben“, führt Glock aus. Das müsse nicht so bleiben. Gerade in Altbauten der 1950er- und 1960er-Jahre seien etwa Rippendecken zu finden, die mit einem dünnen Betonspiegel und entsprechende Rippen aus Stahlbeton auskämen. „Solche Systeme zu bauen ist zwar aufwendiger, verbraucht aber deutlich weniger Beton.“ Zudem sei es auch geboten, bei Tragstrukturen wie Wänden, Decken und Stützen moderate Lastansätze zugrunde zu legen – das hilft auch bei der Dimensionierung der Bauteile für die Untergeschosse. „Hier wird heute zu viel Beton buchstäblich vergraben.“ Daneben gelte es, Bauvorhaben mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen abzugleichen: „Wie sinnvoll ist zum Beispiel ein Neubau mit drei Untergeschossen für Tiefgaragen, wenn Mobilitätskonzepte künftig vom Individualverkehr wegführten?“
Die Richtlinie „Treibhausgasreduzierte Tragwerke aus Beton, Stahlbeton oder Spannbeton“ gibt erstmals Orientierung in einer komplexen Gemengelage, der sich die Baubranche stellen muss. Dazu gehört auch, die Erfordernisse des Klimaschutzes in einem sehr frühen Stadium der Planung mitzudenken. Bis jetzt gleichen Klimabilanzen in der Tragwerksplanung oftmals einer Blackbox: Am Anfang steht die Planung, dann erst kommt die Beauftragung eines Bauunternehmens an die Reihe. Lieferanten, die den Beton beisteuern, spielen erst eine Rolle, wenn der Prozess weit vorangeschritten ist und alle Vereinbarungen ausgehandelt sind. „Planer*innen wissen erst zu spät, wer den Beton liefert, um so das von ihnen entwickelte Tragwerk gezielt auf die Vor- und Nachteile von Öko-Beton hin zu optimieren“, sagt Michael Haist. Stattdessen könne man derlei Spezifikationen bereits in die Ausschreibung zur Voraussetzung erklären: „In der Ausschreibung wird eine Zielgröße für die CO₂-Reduktion festgelegt; hier kann der Bauherr gemeinsam mit dem Planer festlegen, welche CO2-Reduktion gegenüber dem Referenzjahr 2020 eingehalten soll. Dies macht Klimaschutz im Bauwesen im wahrsten Sinne des Wortes ‚planbar‘!“
Den Planungsprozess verändert klimafreundliches Bauen mit Beton insofern, als zu Beginn der Planung künftig ein geringfügig erhöhter Aufwand steht: Material und Konstruktion wieder enger zu vernetzen – wie es früher auch der Fall war – wird am Ende aber mit geringerem Baustoffeinsatz und mehr Nachhaltigkeit belohnt. „Mit der neuen Richtlinie verfügt die Baubranche erstmals über klare, vergleichbare und allgemeingültige Kriterien, was Nachhaltigkeit im Betonbau – und hier auf der Tragwerksebene – überhaupt bedeutet“, sagt Christian Glock. Und der Blick in den Markt zeigt, dass bereits heute sehr effektive Werkzeuge vorliegen, die Treibhausgasemissionen des Betonbaus signifikant zu reduzieren, findet Michael Haist. „Wir können nicht auf eine perfekte Klimaschutz-Lösung warten, die in vielleicht 20 Jahren verfügbar ist. Wir müssen und können mit den Emissionen heute schon deutlich runter.“ Nicht zuletzt werde sich das auch betriebswirtschaftlich auszahlen: „Klimaschutz ist ein Markt. Und in diesem Markt lässt sich Geld verdienen.“
Prof. Dr.-Ing. Christian Glock ist seit 2017 Universitätsprofessor für Massivbau im Fachbereich Bauingenieurwesen der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören der konstruktive Massivbau, ressourceneffizientes und treibhausgasreduziertes Bauen sowie Digitalisierung und Automatisierung. Er ist Mitglied in Gremien von DIN, CEN, DAfStb, DBV und DIBt sowie bei planen-bauen 4.0 und im ZIA. Davor war er von 1999 bis 2017 in verschiedenen Funktionen in der Bauindustrie tätig, zuletzt als Geschäftsführer der Bilfinger Hochbau GmbH (heute Implenia Hochbau GmbH).
Prof. Dr.-Ing. Michael Haist lehrt seit 2019 als Professor am Institut für Baustoffe an der Leibnitz Universität Hannover. Er hat im Bereich der Frischbetonrheologie promoviert und war lange Oberingenieur am Institut für Baustoffe in Karlsruhe sowie Gastwissenschaftler am Concrete Sustainability Lab des amerikanischen MIT. Daneben ist er Obmann des DAfStb-TA Nachhaltig Bauen mit Beton, Obmann des DIBt SVA Betontechnologie und Co-Convener der fib TG 4.8 Concrete Sustainability.